An alle Extrovertierten

Liebe Extrovertierte!

Die Ausgangsbeschränkungen haben mein Alltagsleben gar nicht verändert. Ich mache die gleichen Sachen wie zuvor, treffe (fast) die gleichen Menschen wie zuvor, bin gleich oft draußen wie zuvor. Und das, obwohl ich den Ausgangsbeschränkungen folgeleiste.

Ich bekomme nun mit, dass einige von euch es nicht mehr aushalten können, alleine zuhause zu sein, euch gar einsam fühlen und eure Veranstaltungen und Networking vermissen.

Es tut mir sehr leid für euch. Aber.

Endlich wisst ihr, wie sich Introvertierte in der von euch regierten Welt fühlen.

Ich wäre euch also dankbar, nächstes Mal:

– bevor ihr mich als Kunde anruft, obwohl ich mir klar die Kommunikation per E-Mail gewünscht hatte, weil ihr eure Finger nicht wundtippen wollen, und ein Telefonat für euch einfacher und angenehmer ist,

– bevor ihr mich als Dienstleister zu einem Workshop bei euch vor Ort einlädt, und mir eine PPT mit dem Auftrag vorliest, anstatt die PPT per E-Mail zu verschicken und dann zwei-drei Fragen per E-Mail zu beantworten, nur weil ihr mich aus reiner Neugier persönlich kennenlernen möchtet,

– bevor ihr mich als euren Mitarbeiter zu einer Teambuilding-Maßnahme einlädt, wo zwangzig gut bezahlte Erwachsene den ganzen Tag einander farbige Plastikballe zuwerfen, und später in Schwimmflossen rückwärts gegeneinander rennen müssen, weil ihr denkt, es macht ja so viel Spaß,

– bevor ihr mich quer durch Deutschland anfliegen lässt und euch mein Diagramm aus einer PDF-Datei vorlesen lasst, weil ihr es anders nicht versteht, denn ihr habt es trotz Grundschule, mittleren Reife, Abitur und Studium nicht geschafft zu lernen, wie man Deutsch selbstständig lesen und verstehen kann,

– also bevor ihr nächstes Mal all solche typisch extrovertierten Dinge macht, denkt mal bitte an diesen einen Monat, als ihr zuhause alleine sitzen musstet und euch unwohl gefühlt habt, und fragt euch, ob es vielleicht in eurem Alltag den introvertierten Mitmenschen gegenüber respektvoller gewesen wäre:

– den gleichen Kommunikationsweg zu nutzen, den sie für sich gewählt haben, auch wenn ihr eure Finger etwas wundtippen, Informationen selbstständig lesen statt vorgelesen bekommen und eure Neugier bändigen müsstet,

– das Programm von euren Firmenfeier und Teambuilding-Veranstaltungen im Voraus zu veröffentlichen, damit die Introvertierten sich rechtzeitig darauf einstellen und ggf. ihre Bedenken melden können.

Danke für eure Aufmerksamkeit.

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