Sanitär für IT-ler

Irgendwann hat man angefangen, Wasserleitungen nicht nach Kundenvorgabe, sondern in einer Reihe von fest definierten Größen herzustellen.

Der Bauherr konnte zwar nicht mehr auf Millimeter genau festlegen, wie groß seine Röhre waren. Konnte dafür aber Wasserröhre von unterschiedlichen Herstellern miteinander kombinieren und von der Konkurrenz der Hersteller profitieren. Die Hersteller haben auch davon profitiert, weil sie a) die Röhre als Massenware herstellen, und b) auf Vorrat und nicht mehr auf Bestellung produzieren konnten – nimmt ein Kunde eine Rohr nicht ab, so kann es ein beliebiger anderer Kunde kaufen.

Nun, abgesehen von der Länge haben runde Röhre zwei weitere Dimensionen: Innendurchmesser und Außendurchmesser. Da damals die Differenz dazwischen immer gleich blieb, hat man eine der zwei Dimensionen für überflüßig gehalten und Röhre immer nach dem Innendurchmesser gekennzeichnet. Also eine 1” Rohr hatte den Innendurchmesser von 1 Zoll. Das war aus der Usability Sicht und aus Sicht der Kundenorientierung damals vorbildlich. Erstens, es hat den Kunden eher der Durchsatz des Wassers in seinem Netz interessiert, also im Endeffekt der Innendurchmesser. Wie viel Platz die Rohr in oder an der Wand nimmt, war für den Bauherr zweiträngig (damals waren Wände ja auch dicker). Zweitens, alle Unterlagen wie Preislisten, Angebote, Rechnungen, Buchungen und Lieferscheine waren einfacher zu schreiben und zu lesen, weil eben nur eine Zahl statt zwei darin kommuniziert werden musste.

So. What could possibly go wrong?

Dann kam man aber auf die Idee, dass es einfacher und schneller ist, Wasserleistungen mit Gewinde miteinander zu verbinden, als sie immer vor Ort schweißen oder loten zu müssen. Für Gewindeverbindungen braucht man aber Fittings – also kleine Rohrstücke in der gewünschten Form (ein Winkel, ein T-Stück, eine Muffe usw). Wenn man Fittings auf oder einschraubt, gibt es dann immer eine Innen- und eine Außengewinde. Wenn ich z. B. eine Rohr verlängern möchte, scheide ich an deren Ende eine Außengewinde auf und schraube darauf ein Fitting auf, der entsprechend Größe Innengewinde haben muss. Wenn ich eine 1” Rohr habe, wie groß muss die Innengewinde des Fittings sein? Sie muss so groß sein, wie der Außendurchmesser der Rohr. Also bei einer 1” Rohr war es damals 1”5/16. Also man hätte die passende Fittings damals auch so bezeichnen können: ein 1”5/16 Fitting. Tja, das Usability wäre dann aber schlecht. Wenn der Kunde eine Rohr mit 1 Zoll hatte, musste er daran denken, dass der passende Fittig die Größe 1”5/16 hat, und woher soll er das denn wissen, man hat ihm ja die ganze Zeit zuvor den Außendurchmesser der Rohr nirgendswo kommuniziert (siehe oben, aus Usability-Gründen).

Deswegen hat man sich damals wirklich dafür entschlossen, die Fittings so wie die passende Röhre zu kennzeichnen. Wenn ich also eine 1” Muffe kaufe, also ein Fitting mit zwei Innengewinden, dann hat diese Muffe keine einzige Größe, die sich auf 1 Zoll beläuft. Sondern der Fitting ist so groß, dass er auf eine Rohr mit Innendurchmesser 1” passt, wenn man denn darauf eine Außengewinde aufschneidet.

Soo. Des passd scho. War aber knapp. Als ein IT-ler spürt man hier schon langsam ein Geruchlein.

Und dann kam man aber auf die Idee! Darauf, dass Gusseisen nicht das einzige Material für Wasserröhre sein kann, und hat angefangen, Stahl, Kupfer, Messing usw. zu verwenden.

Nun, da gäbe es aber ein kleines Problemchen. Man braucht weniger von den neuen Materialien, um gleichwertig stabile Röhre zu bekommen. Also man hatte damals zum Beispiel einen kleineren Außendurchmesser bei gleichem Innendurchmesser machen können. Hat man aber nicht gemacht. Warum nicht? Weil man ja schon so viele Fittings produziert und verbaut hat, die indirekt einen bestimmten Außendurchmesser verlangen. Wir erinnern uns, die 1” Muffe hat die Innengewinde von 1”5/16, damit sie auf eine Gusseisen-Rohr mit 1” Innendurchmesser passt. Eine Stahl-Rohr mit einem Innendurchmesser von 1 Zoll hätte den Außendurchmesser von nur ca. 1”1/8. Der alte Fitting wäre dann um 3/16” zu groß.

Deswegen hat man sich damals wirklich dafür entschlossen, bei den neuen Röhren den Innendurchmesser zu vergrößern! Und den Außendurchmesser zu behalten! Und die Röhre immer noch nach dem nicht mehr vorhandenen Innendurchmesser zu kennzeichnen!

Das ist so herrlich, deswegen jetzt nochmals zum mitschreiben.

Wenn ich heute eine 1” Stahlrohr kaufe, hat sie weder den Innen- noch den Außendurchmesser von einem Zoll. Sondern, ihr Außendurchmesser ist so groß, wie er bei einer Gusseisenrohr irgendwann mal war, und diese Gusseisenrohr hatte damals den Innendurchmesser von einem Zoll.

Tja. Der einfachste Weg, zu sich einen Berater in einem Baumarkt zu holen, ist in die Sanitär-Abteilung mit einer Schiebelehre zu marschieren. “(Oh, oh, oh, der Kunde misst gerade die Gewinde eines Fittings mit der Schiebelehre, das kann nur schief gehen…) Guten Tag, kann ich Ihnen helfen?”.

Sooo.

Und dann sind die Französen gekommen. Die mit ihrem Metre. Und haben zurecht moniert, dass sich die ganze Welt auf das metrische System geeinigt hat, und was haben hier alle diese Zölle zu suchen? Deswegen haben die Röhre in den neuen Anwendungen (also nicht in der Haustechnik, aber z.B. für Raketen) tendenziell metrische Größen und metrische Gewinden. Es ist also gar nicht so unwahrscheinlich, ein Druckmessgerät zu kaufen, dessen Anschluss eine M20 Gewinde hat. Es hat also einen Durchmesser von exakt 20 mm. Der nächste Fitting wäre dann der 1/2” Fitting, der mit 18,5mm etwas zu klein gewesen wäre. Abgesehen davon haben die metrischen Gewinden eine andere Dichte, was die Anzahl von Faden angeht.

Da müssen wir uns endlich glücklich schätzen, dass die Gewindeverbindungen in der Haustechnik nicht mehr zum State of the Art gehören.

Endlich gibt es Mehrschichtverbundröhre, die mit ihrem Außendurchmesser und Stärke, mit metrischen Einheiten gekennzeichnet werden. Also z.B. 16×2,2 für eine Rohr mit 16mm Außendurchmesser und 2,2mm stark. Diese Röhre kann man von Hand biegen, und in Sekunden durch Verpressen miteinander verbinden. Und eine 100 Meter Rolle kann von einer Person getragen werden.

Es gibt nur ein kleines Problemchen. Alle Hersteller haben den Wikipedia-Eintrag über den Walled Garden gelesen und versuchen, auf ihr System zu locken. Wer “fremde” Röhre oder Fittings verwendet, kriegt keine Garantie. Also wenn die Rohr oder die Fittings alle sind, ist da nichts mit “mal schnell in den Baumarkt fahren und neue holen”, man muss im System bleiben und Nachschub dort besorgen, wo man es früher gekauft hat. Es gibt um 36 unterschiedliche Presskonturen, die jeweils nur auf passende Fittings angewendet werden können. Sie könnte man alle mit einer Presszange verpressen (mit auswechselbaren Pressbacken). Das kostet aber 25 Euro pro Pressbacke. Und dann verliert man ebenfalls die Garantie. Man soll das Originalgerät des Herstellers verwenden, das für den gleichen Job plötzlich das 10-fache kostet (wir sprechen hier um mehr als 1000 Euro für ein kleines Akku-Gerät).

Ich wäre dafür, dass man in Urheber- und Patentrecht auch den Tatbestand eines “Gestaltungsmisbrauchs” einführen würde. Ich habe nämlich den Verdacht, dass man exakte Größe des Fittings nicht preisgibt, nicht weil es auf diese Größen ankommt, um das Fitting besser als von der Konkurrenz machen (stabiler, bequemer, preiswerter), sondern einzeln und allein um zu verhindern, dass die Konkurrenz preiswerte und bessere kompatible Tools und Zubehör herstellen kann.

Sooooo.

Als wäre das alles. Isses aber ned.

Frage: ich habe eine Rohr, die mit 1/2” gekennzeichnet ist. Ich möchte sie durch eine Wand durchführen. Wie groß muss das Loch in der Wand sein? Antwort: 40mm. Wie komme ich darauf? Nun, die 1/2” beträgt bekanntlich 12,25mm. Diese Zahl ist ja aber wie wir gelernt haben heutzutage irrelevant und wir schmeißen sie gleich weg. Wir schauen stattdessen in die Tabelle an und finden heraus, dass der Außendurchmesser einer 1/2” Rohr 20mm beträgt. Nun, laut EnEV müssten wir die Rohr noch dämmen. Hierfür ist die Dämmstärke von 50% des Rohrdurchmessers erforderlich. 50% von 20mm ist 10mm. Die 10mm Schicht rund um die Rohr von 20mm herum, macht die finale Größe von 40mm.

Ich finde diese Lösung auch sehr elegant (nicht!). Die Gesetzgeber haben sich vielleicht überlegt, ob sie gleich die Hersteller vorgedämmte Röhre herstellen lassen. Als Verbraucher hätte man dann eine 40-er Rohr gekauft, die man mit der Schiebelehre messen und 40mm bekommen kann, die man auch mit einem 40er Fitting verbinden und in ein 40-er Loch reinschieben kann, usw. Doch so einfach ist es nicht – es gibt ja noch sehr viele alte Installationen, die man sowieso nachträglich dämmen müsste. Und überhaupt, wo kämen wir denn hin, dann würden wir doch dieses wunderbares seit Jahrhunderten sich bewehrtes Zoll-System verlieren! Das geht ned! So ungefähr ist es wohl verlaufen. Nun müssen die Installateure immer mit zwei Durchmesser hantieren. Einmal für die Rohr und Fittings wie sie sind. Und einmal für das Ganze, nachdem es fertig isoliert ist.

Es gibt viele IT-ler, sie sich für ihren Quellcode schämen. Zu viele. Eine Kur davon könnte es sein, mal mit den eigenen Händen eine alte Sanitär-Installation zu renovieren.

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